Flatlander
- Ein Bericht aus Neugrenzland
Als utopischer
Schriftsteller fühle ich mich manchmal wie Abbotts armer Freund aus
dem Land der einen Dimension "Flachland", dessen Berichte aus "Raumland"
von seinen Mitbürgern nur mit Hohn und Spott bedacht wurden. Es tröstet
mich, dass dies auch das Schicksal jener Visionäre war, deren Ideen
sich als Facetten unserer heutigen zwei-dimensionalen Dualwirtschaft erwiesen
haben.
Jenseits der früheren
Totalität des globalen Systems bieten heutzutage lokale Märkte
einen Rahmen für wirtschaftliche Transaktionen, ein institutionelles
Arrangement, welches inzwischen wohl allzu selbstverständlich geworden
ist: Verkäufe sind hier nur insoweit anerkannt als sie durch Einkäufe
ausgeglichen werden, der Saldo am Ende des Jahres ist zahlbar in globaler
Währung und genießt auch nicht die Steuerfreiheit der lokalen
Märkte. Natürlich sind diese Märkte vom traditionellen Wirtschaftssektor
abhängig - die für die lokale Produktion notwendige Kapitalbasis
wie auch das garantierte Mindesteinkommen in Globalwährung werden
hier erwirtschaftet. Aber es ist eine gegenseitige Abhängigkeit -
nur die Lokalmärkte offerieren genügend Beschäftigungmöglichkeiten,
und nur so ist jene soziale Stabilität gewährleistet, die auch
das effiziente Funktionieren der Globalwirtschaft garantiert.
Da eine jede unserer
lokalen Währungen absolut nicht-umtauschbar ist, bilden diese lokalen
Märkte eine zweite Dimension unserer lokalen Wirtschaft. Der Vergleich
zur eindimensionalen Struktur des letzten Jahrhunderts - als high-tech
Produktion oder Finanzdienstleistungen behandelt wurden wie die arbeitsintensive
ökologische Lebensmittelproduktion oder Sozialdienstleistungen - erinnert
uns an die erste Reise von Abbotts Freund nach "Linienland", wo die Botschaft
von der zweiten Dimension auch ungehört blieb.
S.
Flor, 2029
(S. Flor bezieht
sich hier auf Edwin A. Abbott "Flatland. A Romance of Many Dimensions",
zuerst veröffentlicht 1884, inzwischen auch auf deutsch erhältlich)